Keine zwei Jahrhunderte ist es her, da war zwischen Zülpicher und Luxemburger Straße kaum mehr als ein Acker. Heute empfinden die Einwohner ihren Stadtteil selbst schon als “zu gentrifiziert”. Ein Makel, mit dem es sich aber offenbar ganz gut leben lässt.
Vielstimmig ist bei unserem Rundgang an einem lauen Sonnentag das Kindergeschrei in Sülz. Unsere Ohren täuschen uns nicht: An zahllosen Ecken, Plätzen und Straßen finden die Kleinen Gelegenheiten zum Toben – unter Aufsicht des elterlichen Personals, versteht sich. Laut Zahlen des Stadtentwicklungsamts war Sülz Ende 2018 nach Mülheim und Nippes der Kölner Ortsteil mit den meisten Haushalten mit Kindern: 3.037, bei gut 22.300 Haushalten insgesamt.
Wie viele Spielplätze es in Sülz kurz nach Kriegsende 1945 gab, das weiß einer ganz genau – Hans Süper. Die Antwort kann der hochverehrte Karnevalsveteran sogar singen, und zwar in den Zeilen, die einst Papa Hans Senior als Mitglied von De Vier Botze schrieb: “Dreimol Null es Null, bliev Null …” Als neunjähriges Panz war er aus der Kinderlandverschickung zurück nach Köln gekommen und hatte mit seiner Mutter eine leerstehende Wohnung an der Luxemburger Straße bezogen. “Wir haben im Schutt gespielt”, erinnert sich der 84-jährige Jeck. “Wir mussten mit dem klarkommen, was da war.”
Nachdem er mal in Zollstock, mal in Mülheim, mal in der Südstadt gelebt hatte, kehrte er vor rund 50 Jahren erneut heim nach Sülz und ist dort seither mit ganzem Herzen zohus: “Ich habe hier alles”, sagt er. “Meine Freunde, meine Kollegen und immer noch Auftritte: Hinrichtungen, Beerdigungen …”

Die Sülzer sind stolz auf ihren Süper. Keine zwei Schritte weit kommt er auf seiner täglichen Runde, ohne zu einem Plausch gebeten zu werden. Er mag das. “Mein Bekanntheitsgrad ist genau richtig. Manchmal brauche ich von meiner Wohnung in der Berrenrather bis zur Luxemburger Straße zwei Stunden.” Sein zweites Wohnzimmer ist seit Süpergedenken der “Sölzer Klaaf”: Wände voller Devotionalien aus seinem Bühnenleben und dazu Chefin Ika Janzowski, mit der er fast so lustig klönen kann wie einst mit Hans Zimmermann, seinem Partner im legendären “Colonia Duett”.
Ein paar Meter weiter, am Nikolausplatz, begegnen wir einem weiteren Sülzer Original: Bruno Knopp, Jahrgang 1967. Nicht ganz so bekannt, dafür ein beispiellos detailversessener Kenner des Stadtteils. Der diplomierte Geograph bietet individuell auf seine Kundschaft zugeschnittene Führungen an. Dabei kann er auf einen schier unerschöpflichen Fundus an kostbaren Dokumenten aus mehr als 800 Jahren Sülzer Ortsgeschichte zurückgreifen.

Vor rund 2.000 Jahren etwa stand auf der Berrenrather Straße ein römisches Aquädukt: “High-End-Infrastruktur damals.” Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ackerten hier hingegen nur ein paar Bauern um ihr tägliches Brot. Dann entstanden Ziegeleien, und jede errichtete ihre eigene kleine Häuserzeile. Sülz entwickelte sich so zum Handwerker- und Arbeiterdorf, die Bevölkerungszahlen vervielfachten sich, Einwanderer aus ärmeren Regionen Deutschlands siedelten sich an. “Migranten damals waren häufig nicht unbedingt willkommener als heute”, sagt Knopp. Heimisch wurden sie irgendwann zum Glück dennoch, wie es die Bläck Fööss in “Unsere Stammbaum” eindrücklich besingen. Sänger Tommy Engel wuchs übrigens im Haus Ecke Remigiusstraße auf.
Gegenüber trainierten die Spieler des Effzeh, 1948 hervorgegangen aus der Fusion des Klettenberger Ballspielclubs 01 mit der Spielvereinigung Sülz 07. Zwei von vielen kleinen, feinen Gründen, die eine Adresse zum Zuhause machen. “Heimat ist ein individuelles Gefühl”, sagt Knopp. “Für viele Sülzer ist der Kiosk hier so ein Ding: ein klassischer Dorfplatz in der Großstadt.”
Das dürften Kirsten Reinders und Julia Krakau gerne hören. Die beiden gehören zu einem Team engagierter Anwohner, das das Büdchen am Nikolausplatz nach seiner Schließung 2015 renoviert und neu eröffnet hat. Allerdings nicht als mehr oder minder prekäre Existenzgrundlage, sondern als Verein, der der Nachbarschaft was Gutes tun will: Das Lädchen öffnet täglich von 15 bis 18 Uhr und bietet einer bunten Kundschaft mit Lesungen, Konzerten und Ausstellungen ein Zuhause auf Zeit.

Reinders liebt diesen heimeligen Mikrokosmos, in dem die alteingesessene Oma bei “Latte Matschatto” mit der zugezogenen Helikoptermama “alle kleinen und großen Probleme der Gesellschaft” diskutiert. “Ich habe hier so viele Leute kennengelernt, mit denen ich seit Jahren fast Tür an Tür lebe”, schwärmt Krakau. “Ohne das Büdchen wären wir nie ins Gespräch gekommen.”
Und wenn die Frühlingssonne ihre ersten wärmenden Strahlen aufs Bänkchen schickt, Passanten auf ein Schwätzchen stehen bleiben und der Milchschaum auf dem Cappuccino ein Herzchen zeigt, dann kann die Welt in Sülz gar nicht anders sein als: Süper!
Aktivitäten in Sülz
Die Sülzer sind also gern gesellig und Neuankömmlinge willkommen. Hier kannst Du ihnen begegnen:
- Weisshauskino: Mainstream- und Arthouse-Filme gibt es im traditionsreichen Kino an der Luxemburger Straße. Und natürlich: Popcorn!
- Flohmarkt am Unicenter: An 52 Samstagen im Jahr kannst Du hier nach Lust und Laune trödeln, was die ausrangierte Stehlampe hergibt.
- Wochenmarkt auf dem Auerbachplatz: Immer dienstags und freitags von 7 bis 13 Uhr verwandelt sich einer der beliebtesten Sülzer Plätze in einen Viktualienmarkt.
- Beethovenpark: Chillen, grillen, sich einfach gut fühlen: Dafür ist dieses große Grün im Süden von Sülz wie geschaffen.
- Decksteiner Weiher: Riesiges Naherholungsareal für Gelegenheits-Stadtflüchtlinge – bestens geeignet zum Spazieren oder Joggen.
- Geißbockheim: Hier trainiert der Effzeh – von den Pänz bis zu den Profis. Kiebitze sind meistens ebenso willkommen wie wohlwollende Fachsimpelei.
Gastronomie in Sülz
Hunger? Durst? In Sülz findest Du genügend empfehlenswerte Gelegenheiten, beide Bedürfnisse zu stillen.
Lecker Essen in Sülz
- Balthasar: Verlässlicher Nahversorger von früh bis spät. Abwechslungsreiche Küche mit mediterranem Schwerpunkt, aber wöchentlichen kulinarischen Ausflügen rund um die Welt.
- El Habab: Eine der wenigen Anlaufstellen in Sülz für wirklich leckere Falafel und Schawarma.
- Plomari: Griechische Tapas in Vollendung, dazu eine vorzügliche Auswahl ausschließlich griechischer Weine.
- Ha-Long-Bucht: Seit Jahren ein Platzhirsch in Sachen asiatische Küche und die dezent irrwitzig geratene Inneneinrichtung tut ihr Übriges.
- Heckmanns: Für Gaumen gehobenen Geschmacks lässt sich die sogenannte „Neue deutsche Küche“ hier gern auf ein Tête-à-Tête mit französischen oder mediterranen Kochkünsten ein. Bisschen kostspieliger, aber dafür auch ein bisschen besser als der kölsche Durchschnitt.
- Büdchen Casablanca: Alternative Kiosk-Initiative mit integrierter Filiale der Essensretter von „The Good Food“.
Die besten Orte für ein Kölsch
- Wundertüte: Sülzer Kneipenstandard für alle irgendwie Alternativen.
- Haus Unkelbach: Bock auf Bier, viel Bier? Bock auf Fleisch, viel Fleisch? Bitte sehr, dann bist Du hier richtig!
- Sölzer Klaaf: Hans Süpers Quasi-Wohnzimmer ist wie eine Zeitreise durch die Dynastie derer von Süper. Biste jeck, biste hier genau richtig!
Schöne Plätze für einen Kaffee
- Heilandt: Die kölnweit beliebte Rösterei bringt auch in ihrer Sülzer Dependance Schwarzgetränke gehobener Güte unters Volk.
- Büdchen am Nikolausplatz: Die engagierten Hobby-Kioskbetreiber wissen wie man den Barista bedient – mit Milchschaum-Herzchen!
Autor: Sebastian Züger
Fotos: Thilo Schmülgen