Leben und Wohnen im Veedel Chorweiler
Foto: Thilo Schmülgen

Chorweiler. Mehr als Klischees.

In dieser Rubrik betrachten wir das Leben und Wohnen in Köln. Wer in Köln-Chorweiler lebt, lebt mit Klischees. Doch die meisten Bewohnerinnen und Bewohner kümmert das nicht. Sie fühlen sich in ihrem quietschfidelen Stadtteil mit den gar nicht mal so vielen Hochhäusern einfach nur eins: zuhause.

Autoren von Chorweiler Panorama

„Meine Liebe ... Chorweiler“

„Nächtlicher Überfall auf Kölnerin“, „Jugendliche Schlägergruppe in U-Bahnhaltestelle“, „Depot von Fahrradhehlern gefunden“, „Hochhausmarathon“. Überschriften der Website Chorweiler Panorama – jede eine Bestätigung für landläufige Klischees über den Stadtteil. Das Veedel, das einem ganzen Stadtbezirk im Kölner Norden seinen Namen gibt, hat seit Anbeginn Imageprobleme. In den 1970er Jahren frönten hier fortschrittsfreundliche Architekten und Stadtplaner der sogenannten „vertikalen Verdichtung“, bauten also himmelwärts und damit am Zeitgeist der Folgejahrzehnte vorbei. In die modernen Quader rund um den Pariser Platz zogen viele ein, die andernorts in Köln nicht fündig wurden. So entstand eine Bewohnerstruktur, die man im besten Sinne als „multikulti“, im schlechtesten als „abgehängt“ bezeichnen konnte.

Larissa W. Owtscharenko, eine der Autorinnen von „Chorweiler Panorama“, hat sich hemmungslos in diesen fraglos überaus lebendigen Bevölkerungsmix aus rund 180 Nationalitäten verguckt und darüber ein Buch geschrieben. „Meine Liebe ... Chorweiler“ heißt es und zeigt auf Vorder- und Rückseite die vermeintlich charakteristischen Ansichten des Stadtteils: Hochhäuser, mal grau, mal bunt. Seit 1983 lebt die gebürtige Russin in Chorweiler. Mit leuchtenden Augen sagt sie: „Ich kenne viele Leute, die gerne hier wohnen. Und viele meinen: Das ist gut so, wie es ist, das muss man nicht verändern.“

Ihr Redaktionskollege Alexander Litzenberger drückt seine Zuneigung nüchterner aus: „Gerade Bewohner mit russischem Background können in Chorweiler leicht heimisch werden: Mit den vielen Hochhäusern sieht es genauso aus wie bei ihnen zuhause.“ Ihm selbst erging es ähnlich, als er 1996 aus Russland einwanderte und mit Serben und Türken Tür an Tür wohnte. „Alle konnten gleich schlecht Deutsch“, erinnert sich Litzenberger. „Das machte frei im Sprechen.“

Baran Gökpinar vom le‘zzet

„Chorweiler – mein Dorf“

Möglicherweise traf er damals auf Ali Gökpinar, der als Sozialbetreuer für die Einwandererfamilien im Stadtteil zuständig war. „Mein Vater war ein angesehener Mann“, sagt sein Sohn Baran, Ende der 1980er Jahre in Köln geboren und Betreiber des Cafés „Le‘zzet“, einem echten Familienbetrieb, der jeden Tag im Jahr geöffnet hat, außer: „Am 31. Dezember. Da trifft sich die ganze Familie in Duisburg in einem großen Saal.“ Barans Eltern haben zusammen 23 Geschwister. Da lohnt fast die Anmietung des Wedaustadions.

Das „le‘zzet“ (vormals „Café Olko“) ist ein echter Vollversorger, von Frühstück über Mittag- bis Abendessen offen für alles und jeden – und damit ein Spiegelbild des Stadtteils, den Gökpinar liebevoll-ironisch als sein „Dorf“ bezeichnet. Hinter der penibel gepflegten Blumeneinfassung um die Außengastro finden die Mütter vom Spielplatz nebenan ebenso ein Zuhause auf Zeit wie die Rentner aus den benachbarten Ortsteilen oder die Angestellten aus der Bezirksverwaltung, den anliegenden Banken und Geschäften.

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Pädagogisches Team vom Jugendzentrum Pegasus

„Schreibt positiv über Chorweiler!”

Ein paar Schritte weiter quer über den Platz, an einer Versammlung älterer Herren beim klassischen Tabakrauchen und einer Teenager-Gruppe mit Bluetooth-Box vorbei, hat gerade das Jugendzentrum „Pegasus“ im Bürgerzentrum Chorweiler neu eröffnet. Die Jugendlichen haben ein Barcamp zur Klärung der Frage absolviert, was in den schönen neuen Räumen – immerhin fünf an der Zahl – passieren soll. An Stellwänden hängen die Ergebnisse des Brainstormings: Ein Airhockey oder eine Zuckerwattemaschine wünschen sich die einen, ein Bällebad, „mehr Ausflüge“ und eine Mädchenband die anderen. „Es ist ganz wichtig, dass die Jugendlichen einbezogen werden in die Gestaltung ihrer Räume“, sagt Thomas Gruner vom pädagogischen Team. „Auch wenn das Ei letztlich nicht neu erfunden wird.“

Die jungen Leute hätten ganz handfeste Sorgen, sagt sein Kollege Hilmi Sagdic: „Sie wissen oft nicht, was sie wollen.“ Viele „Pegasus“-Stammgäste stammten aus sozial schwachen Familien, „aber die sollen ja vorankommen“. Zweimal pro Woche öffnet deshalb „Job aktiv“, die Berufsberatung, die den Jugendlichen bei der Jobsuche behilflich ist.

Vereine, Initiativen, auch Institutionen wie die GAG engagierten sich für die nachrückende Generation in Chorweiler, doch darüber werde, da sind sich die beiden Betreuer einig, zu wenig berichtet. „Schreibt positiv über Chorweiler!“, fordert Sagdic. „Sonst liest man auch in hundert Jahren immer nur die Klischees.“

Autorin von Chorweiler Panorama

„Wir suchen Autoren ...”

Vera van Beveren, auch mit Ende 80 noch rüstige Dritte im Bunde bei „Chorweiler Panorama” und stadtweit bekannte Chorweiler-Lobbyistin, würde diesem Aufruf nur zu gerne nachkommen, allerdings: „Wir suchen Autoren, die unsere Website mit interessanten Geschichten füllen!” Also, nur Mut: Die Redaktion freut sich über Bewerbungen!

Text: Sebastian Züger